Der Leadership AI Summit vom 23. Oktober 2025 in Zürich, organisiert durch Moodtalk, zog eine scharfe Grenzlinie zwischen dem, wie KI menschliche Führung unterstützen kann, und dem, was Führung ausmacht und unbedingt durch den Menschen übernommen werden muss. Während die KI das Geschäftsumfeld mit exponentieller Geschwindigkeit umkrempelt, wurde am Summit aufgezeigt, dass der Impact von KI auch beim Führungsalltag nicht stoppt.
Führungskräfte benötigen Unterstützung und KI kann diese bieten
Die Einleitung von Loris Niederberger lieferte eine ernüchternde Ausgangslage, die die Dringlichkeit des Themas unterstreicht: Drei von fünf Führungskräften scheitern in den ersten zwei Jahren ihrer neuen Rolle.
"Scheitern" meint, dass die Führungskraft ihre Rolle nicht erfolgreich ausfüllt oder mit der Situation überfordert ist, was zu direkten und messbaren Schäden an Team, Produktivität und Unternehmensergebnis führt. Dieses Scheitern ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein massiver wirtschaftlicher Schaden. Die Kosten für Organisationen belaufen sich auf bis zum 3,5-Fachen des Jahresgehalts der Führungskraft, resultierend aus:
- +20% Fluktuation
- +80% Fehlzeiten im Team
- -14% Produktivität
Die Ursachen dieses Versagens sind vielfältig, konzentrieren sich aber auf vier Kernherausforderungen: Unklare Rollenerwartungen, mangelndes Vertrauen, unzureichendes Verständnis der Teamdynamik und ineffektive Kommunikation.
Führungskräfte erwähnen, dass sie ihre Zeit primär mit repetitiven, händischen und zeitfressenden Aufgaben verbringen: Administration, Performance-Beurteilung und die Vorbereitung von Meetings/1:1s. Firmen investieren viel, um Führungskräfte zu unterstützen, jedoch zielt die heute angebotene Unterstützung – von Onboarding-Tagen bis hin zu Kursen – oft nur auf eine punktuelle und reaktive Unterstützung. Sie setzt erst an, wenn das Problem bereits eskaliert ist.
Genau darum bietet KI ein grosses Potenzial bei dem Thema Leadership: kontinuierliche, datengetriebene und personalisierte Führungsunterstützung, damit Führungskräfte mit Klarheit und Fokus erfolgreich führen können.
Leadership ist Code – Die menschliche Betriebsanleitung
Joël Mattle, Oberstleutnant und Leadership Coach, dekonstruierte in seinem Vortrag "LEADERSHIP IST CODE" die traditionelle Vorstellung von Führung und präsentierte einen radikal neuen Rahmen.
Das Paradox des AI Boss Effect:
Mattle konfrontierte das Publikum mit dem beunruhigenden "AI Boss Effect": Eine erschreckende Zahl von Mitarbeitenden (bis zu 97%) wenden sich lieber an KI-Bots wie ChatGPT als an ihre Vorgesetzten, weil sie die Antworten schneller und empathischer empfinden. 72% halten die Ratschläge der KI für hilfreicher. Dies ist keine Kapitulation vor der Technologie, sondern eine scharfe Kritik an der bestehenden Führungskultur, die oft Unsicherheit und Ängste schafft, sodass Mitarbeitende KI als den "sicheren Raum" erleben.
Die 3M-Formel für Wirksamkeit:
Mattle stellte klar, dass im heutigen VUCA-Umfeld (Volatil, Unsicher, Komplex, Mehrdeutig) Führung nicht mehr nur zwischen Mensch und Mensch stattfindet, sondern in einem Dreieck: Mensch (Leader) - Menschen (Team) - Maschinen (Tools wie KI).
Die entscheidende Reihenfolge für nachhaltige Wirksamkeit lautet: „ERST MENSCH, DANN MENSCHEN, DANN MASCHINE.“
- Der Mensch: Muss in seiner Selbstreflexion, Vision und seinen Werten klar sein.
- Die Menschen: Das Umfeld muss so gestaltet sein, dass Vertrauen, Stärken und Teamleistung gedeihen.
- Die Maschine: KI ist ein mächtiges Werkzeug zur Verstärkung, niemals zum Ersatz.
Die KI als Positive Leadership Booster (PERMA Lead):
Die Kernbotschaft Mattles war, dass KI nicht führt, sondern das verstärkt, was bereits da ist. Wenn die Führungskraft auf Positive Leadership (PERMA Lead: Positive Emotions, Engagement, Relationships, Meaning, Accomplishment) setzt, wird KI zum Force Multiplier.
Schlüssel-Take Away von Mattle: Die neue Frage lautet nicht: "Was kann KI übernehmen?", sondern: "WIE macht KI meine Führung besser?" Vertrauen sei der wahre Force Multiplier; Führung sei das Betriebssystem der Organisation.
Entscheidungen im Chaos – Der analytische Flüsterton
Florian Schmidt, AI Engineer bei Moodtalk, lieferte die technische Blaupause dafür, wie Large Language Models (LLMs) die von Mattle geforderte Verstärkung präzise umsetzen können. Sein Vortrag "Entscheidungen im Chaos: Was KI dir zuflüstert" entmystifizierte die Funktionsweise der KI.
Die verborgene Stärke der LLMs:
Schmidt erklärte, dass die wahre Intelligenz von LLMs (wie ChatGPT) in zwei Fähigkeiten liegt, die für Teamleads von unschätzbarem Wert sind:
- Extremer Kontext: LLMs lernen, indem sie Wörter im Kontext verstehen und sind heute in der Lage, Hunderte von Seiten Text (Tokens) gleichzeitig zu analysieren.
- Kombinatorik: KI kann Muster über mehrere Dimensionen hinweg deutlich schneller erkennen als das menschliche Gehirn. Schmidt demonstrierte dies am Beispiel einer komplexen Menüauswahl, die acht Personen mit unterschiedlichen Allergien, Unverträglichkeiten und Ernährungspräferenzen gleichzeitig zufriedenstellen musste. Diese mehrdimensionale Problemlösung lässt sich direkt auf Führungsherausforderungen übertragen.
KI als analytischer Assistent für Führungskräfte:
In der Praxis bedeutet dies, dass KI nun das Chaos der qualitativen Teamkommunikation ordnen kann. Wenn Mitarbeitende unstrukturtes Feedback zu "Friktionen im Prozess" oder "fehlende spontane Abstimmungen" geben, kann der AI-Assistent:
- Themen identifizieren und analysieren: Er erkennt wiederkehrende, kritische Aussagen über Wochen und Monate hinweg und gruppiert diese zu klaren Brennpunkten wie "Informationsfluss" oder "Qualitätsbewusstsein".
- Die impliziten Themen sichtbar machen: Während der Mensch nur die einzelnen Beschwerden hört, erkennt die KI die systemischen Mängel (z. B. "Die Vielzahl paralleler Projekte frisst Fokus und Energie" vs. "Mir fehlt planbare Zeit für Weiterbildung").
- Konkrete Vorschläge generieren: Basierend auf den identifizierten Mustern liefert die KI lösungsorientierte Vorschläge, Checklisten oder Meeting-Vorbereitungen – immer ausgerichtet auf die konkreten Bedürfnisse des Teams.
Schlüssel-Take Away von Schmidt: Der Teamlead muss nicht mehr mit der Komplexität ringen, was wirklich wichtig und was nur laut ist. Die KI übernimmt das Halten und Analysieren der Informationen in mehreren Dimensionen. Der Mensch gewinnt dadurch Zeit und analytische Klarheit, um sich auf die Kernaufgaben der Führung zu konzentrieren: die emotionale Gestaltung des Umfelds und die persönliche Verbindung.
Wo KI Führungskräfte unterstützen kann und muss
In vier Arbeitsgruppen diskutierten die Teilnehmenden intensiv über das Potenzial und die Furcht in Bezug auf KI in der Führung. Die Debatten zeigten ein klares Bild der künftigen Aufgabenverteilung:
Potenzial vs. Furcht:
- Grosses Potenzial: Die Teilnehmenden sehen KI primär als einen massiven Effizienzsteigerer. KI soll repetitive administrative Aufgaben, die Vor- und Nachbereitung von Meetings (z. B. Protokolle, Aktionslisten) und die Analyse unstrukturierter Daten übernehmen. Viele sehen in der KI einen wertvollen, objektiven Sparring-Partner für komplexe Entscheidungen.
- Grösste Furcht: Die Sorgen konzentrieren sich hauptsächlich auf Datenschutz und die Gefahr von Fake News oder fehlerhaften Analysen ("Garbage In, Garbage Out"). Es besteht auch die Befürchtung, dass Führungskräfte wichtige "weiche" Skills verlernen könnten, wenn die KI zu viel Verantwortung für analytische oder kommunikative Vorarbeiten übernimmt.
Aufgabenverteilung Mensch vs. Maschine: Die Gruppen waren sich einig, dass eine klare Aufgabentrennung essenziell ist:
KI MUSS ÜBERNEHMEN:
- Repetitive, administrative Aufgaben
- Datenanalyse und Mustererkennung
- Vorbereitung von 1:1s und Meetings
- Generierung von Hypothesen und Vorschlägen
MENSCH MUSS BLEIBEN:
- Empathische Gespräche führen
- Beziehung zum Team aufbauen
- Kulturelle Ausrichtung und Sinnstiftung
- Konfliktlösung und Coaching
Fazit der Breakouts: Die Verschiebung des Fokus ist erwünscht und notwendig. Führungskräfte sollen die gewonnene Zeit nutzen, um sich wieder verstärkt auf das Beziehungsmanagement, Empathie und das Schaffen eines inspirierenden Umfelds zu konzentrieren – dorthin, wo der Mensch unersetzlich ist.
Zusammenfassung und Ausblick
Der Leadership AI Summit hat eine klare Botschaft vermittelt: Die Ära der Führung durch blosse Anwesenheit oder reine Persönlichkeit ist vorbei. Die künftige Wirksamkeit liegt in der klaren Trennung von Kompetenzen:
- Der Fokus der KI liegt auf der analytischen Kraft und der Effizienzsteigerung – der präzisen Orchestrierung von Prozessen und Daten.
- Der Fokus der Führungskraft liegt auf dem positiven menschlichen Handeln – auf Beziehungsarbeit, Sinnstiftung und dem Coaching der Mitarbeitenden.
Indem wir KI nutzen, um repetitive und komplexe Mustererkennungsaufgaben zu automatisieren, gewinnen Führungskräfte ihre knappe Zeit zurück. Diese Zeit muss dorthin gelenkt werden, wo der Mensch unersetzlich ist: auf die Schaffung eines Umfelds, in dem Menschen aufblühen, Vertrauen wächst und nachhaltige Spitzenleistung zur Norm wird.
Die Grenze zwischen KI und Mensch ist nicht die des Ersatzes, sondern der Synergie – eine Verstärkung, die Führungskräfte zu den Force Multipliern macht, die sie immer sein sollten.
Sources
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